Roadbiker Michi Strasser
So geht der Pro ans Fitnesstraining heran

Einleitung

Training boomt und immer mehr Menschen lassen sich einen genauen Plan erstellen. Welche Faktoren sind fürs Roadbiken aber wirklich wichtig? Was taugen Indoor-Trainingsgeräte und virtuelle Rennen? Und kann ich etwas falsch machen, wenn ich einfach drauflos radle und mich auf mein Gefühl verlasse? Wir haben spannende Fragen rund um Fitness-Vorbereitung und Roadbike-Training mit Spitzenathlet und Radsporttrainer Michael Strasser besprochen. Viele Leute trainieren bei widrigen Bedingungen lieber zu Hause auf der Rolle und fahren virtuelle Tracks. In Zeiten von Lockdowns und Homeoffice sind entsprechende Trainingsgeräte sold out. Sind diese ein netter Gimmick oder sorgen sie tatsächlich für ein vollwertiges Training?

Rollen, Ergometer und dergleichen sind aus trainingstaktischer Sicht tatsächlich sehr effizient. Vor allem für Power-Workouts eignen sie sich hervorragend. Für stundenlange Grundlageneinheiten eher weniger, weil einem endlos fad darauf wird. Man sollte aber in beiden Bereichen ausreichend trainieren: zum einen viele Stunden low intensity, zum anderen wenige Stunden high intensity. Viele Einsteiger machen den Fehler, so gut wie ausschließlich im „Mischbereich” zu trainieren. Das heißt, weder jemals richtig schnell bei kurzen Einheiten noch richtig langsam bei langen Einheiten. 

Bei meinem Zugang zum Leistungssport stehen nach wie vor Spaß und Freude an der Bewegung im Vordergrund – alles, was man gerne macht, hält man auch über eine längere Zeitspanne hinweg durch. Daher trainiere ich persönlich viel draußen. Ich bin auch bei schlechtem Wetter hundert Mal lieber unter freiem Himmel als dass ich stundenlang im Keller auf einer Rolle trete. Das Ganze ist natürlich auch eine Zeitfrage. Wenn mir die gerade fehlt, dann disponiere ich schon auch mal auf längere Indoor-Einheiten um.

Michi Strassers Pro-Tipp für die Rolle:

Ich selber verwende eine lose Rolle, auf die ich das Rad ohne jegliche Montage draufstelle. Das erfordert etwas Geschicklichkeit, trainiert aber die Körperspannung super mit und kommt dem Bewegungsmuster im Freien am nächsten. Der Widerstand lässt sich verstellen und ein Leistungsmesser steuert die Belastung. Niedrige Intensitäten steuere ich über den Puls, hochintensive Einheiten über ein klassisches Powermeter am Rad.

Eignen sich Online-Rennen via App als intensive Trainingseinheiten und können sie diese gar ersetzen?

Meiner Meinung nach kann man mit virtuellen Races hochintensive Einheiten gut simulieren. Die Gefahr, die ich dabei nur sehe, ist, dass man, wenn man ein Online-Rennen nach dem anderen fährt, permanent zu intensiv trainiert. Das Verhältnis sollte so sein, dass man – natürlich abhängig vom Trainingszustand, aber so in etwa – 90 Prozent super low und nur zehn Prozent im high intensity Bereich unterwegs ist. Wenn man sie aber gezielt einbindet, sind solche Rennen eine praktische Alternative zu intensiven Trainingssessions.

Wie lange sollte eine Indoor-Einheit mindestens dauern? Sind (stunden)lange Einheiten sinnvoll?

Ja, stundenlange Einheiten sind sinnvoll, solange sie super low betrieben werden. Es geht darum, den Fettstoffwechsel zu schulen, was am besten beim absoluten Grundlagenfahren funktioniert. Da reden wir von wirklich niedrigen Intensitäten. Man versucht, sich währenddessen nur mit Wasser oder ganz wenig Iso zu verpflegen, um den Fettstoffwechsel anzuregen. Grundsätzlich gilt auch: Eine Indoor-Einheit kann gar nicht lange genug dauern – der Fettstoffwechsel beginnt erst bei 90 Minuten. Das bedeutet, wir reden im Leistungsbereich schnell mal von zwei-, drei- oder vierstündigen Sessions. Wobei wir dann wieder an dem Punkt sind, dass mehrstündige Einheiten drinnen einfach absolut boring werden. Aus dem Grund versuche ich, das auf den Skiern zu simulieren. Solange die Hauptwettkämpfe noch weit weg sind, ist es nicht so essenziell, ob die Aktivität mit demselben Sportgerät ausgeübt wird. Zudem ist Skitourengehen, was die Beanspruchung der Muskelgruppen betrifft, verwandt mit dem Radfahren. 

Was ist deiner Erfahrung nach das Wichtigste, um hungrig zu bleiben und mental nicht auszubrennen?

Ganz klar: Der Spaß an der Sache muss überwiegen. Nicht jede einzelne Trainingseinheit muss einen begeistern. Aber zu mindestens 90 Prozent sollte man die Sache mit Freude absolvieren. Nur dann wird man dranbleiben. 

Dich sieht man ja auf deinem Insta-Kanal oft auch bei widrigen Bedingungen fahren – was kann die Realität besser als die Simulation? Ist das Training bei Regen und Kälte gut für den inneren Schweinehund oder einfach nur Masochismus?

Die Realität ist immer besser als die Simulation. Ich muss bei meinen Projekten und Rennen auch mit Regen, Schnee und Kälte umgehen können. Mit einem Rennrad solide auf einer Schneefahrbahn fahren zu können, bedarf hinlänglicher Übung im Vorfeld. Mit Masochismus hat das nichts zu tun. Ein Beispiel: Bei „Ice2Ice” (Alaska – Argentinien mit dem Rad in unter 85 Tagen, Anm.) waren die letzten Tage geprägt von Schneefahrbahnen über Pässe. In so einer Situation bist du dann froh, dass du die letzten 15 Jahre viele Kilometer dieser Art gesammelt hast. Ich traue mich zu behaupten, dass man mit gewissen Widrigkeiten wie extremen Temperaturen nur fertig wird, wenn man sich diesen regelmäßig aussetzt. Ansonsten bist du bei zwei Grad und Regen im wahrsten Sinne schnell mal aufgeschmissen. Außerdem, das kennen sicher viele: Wenn du bei miesem Wetter unterwegs bist, fühlst du dich im Anschluss, zurück in der warmen Stube, richtig gut und wesentlich besser als vorher. 

Du bist auch oft auf Skiern unterwegs. Was für einen Stellenwert nimmt Ski-Mo in deinem Trainingsplan ein und kann man sich mit Ski-Mo fit fürs Rad machen?

Ski Mountaineering nimmt bei mir einen hohen Stellenwert ein. Es ist quasi mein zweitliebster Sport. Die Stunden vergehen schnell, es ist unglaublich anstrengend und man kann die Belastung sehr gut steuern – von sehr niedrig bis sehr hoch. Beim Skitourengehen komme ich auf Pulswerte, die ich am Rad gar nicht mehr schaffe, weil viel mehr Muskelgruppen in Bewegung sind. Mein Tipp aus der Trainingsperspektive: Nach der Tour eine halbe Stunde auf das Ergometer setzen, um die Bewegung vom Tourengehen aufs Rad zu übertragen. Ich kombiniere das ab und an gerne. Kurzum: Gerade im Winter, wenn die Radsaison noch weit weg ist, lässt sich sehr viel gezielt auf den Skiern machen.

Soll man hier und da eine Mountainbike-Einheit in den Trainingsplan einbauen oder ist das wegen des Belastungsunterschieds kontraproduktiv für den Roadbiker?

Mountainbiken ist ein Spitzentraining für Roadbiker. Es ist sehr kraftlastig und das Bike-Handling wird dabei unglaublich gut geschult. Mountainbiker sind in Wahrheit die zehnmal besseren Radfahrer.

Du sitzt ja schon sehr lange im Sattel. Welche Veränderungen beobachtest du in der Szene?

Ich habe den Eindruck, dass Rennradfahren vor 15 Jahren noch ein bisschen „verstaubt” war. Das haben auf der einen Seite die Profis und am anderen Ende des Spektrums eher nur Pensionisten gemacht. Mittlerweile ist es einfach ein super lässiger Sport geworden. Es gibt geile Klamotten, leiwande Räder. Die Leute sind draufgekommen, dass man coole Ausflüge machen kann und einem das Rennradfahren ein herrliches Geschwindigkeits-Feeling verschafft. Selbst ein Einsteiger schafft mit etwas Motivation schnell mal 100, 120 Kilometer. Das sind Distanzen, die erreiche ich mit einem Mountainbike nicht. Das Rennrad rollt einfach so gut, dass der Aktionsradius gewaltig vergrößert wird. Nicht zuletzt hat sich der soziale Aspekt in den letzten Jahren meiner Beobachtung sehr verändert: In den Freundeskreisen bemerke ich, dass sich immer mehr tut. Am Wochenende werden Gruppenausfahrten angeboten und dergleichen. Das finde ich eine sehr sympathische Entwicklung.

Welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen den Roadbikern von 2020 und denen von vor zehn bis 15 Jahren?

Die Passion und Faszination am Rennradfahren liegt damals wie heute darin, dass man mit dem gleichen Kraftaufwand spürbar schneller ist als mit einem herkömmlichen Rad. Dazu gehört auch die Freude an der Leichtigkeit und Agilität.

Was waren für dich und deine Karriere die Game Changer?

Ich habe vor 15 Jahren aus absoluter Leidenschaft heraus mit dem Leistungssport begonnen. Ich habe die Challenge gesehen und wollte wissen, wie weit ich komme, wenn ich mir Ziele stecke. Das Ziel meiner ersten Radsaison vor 15 Jahren war, von zuhause aus zum Neusiedler See, eine Runde drumherum und wieder retour zu fahren. Das waren etwa 150 Kilometer von meinem Ort. Damals war das eine Herausforderung, auf die ich hingefiebert habe. Die Ziele sind dann von Jahr zu Jahr größer geworden. 

Ein Game Changer war sicher mein erstes richtig großes Projekt: Die Afrikadurchquerung 2016. Bereits die Organisation hat mich viel Energie und auch mein Auto gekostet. Ich musste einiges an Geld für die Realisierung zusammenkratzen. Und da kam glücklicherweise mein zweiter Game Changer ins Spiel: mein erster Sponsor (Wiesbauer), der bereit war, sich an den hohen Kosten für solch große Projekte zu beteiligen. Darauf war ich ziemlich stolz und es hat mir einen ganz schönen Motivations-Boost verpasst. Ich habe das Ganze aber wohlgemerkt nie gemacht, um damit wirklich Geld zu verdienen. Seit wenigen Jahren kann ich zwar davon leben, aber mein Antrieb ist nach wie vor die ungebrochene Begeisterung am Sport und an den Projekten, nicht eine wirtschaftliche Erwägung.

Was für ein Setup fährst du?

Ich werde seit einigen Jahren von der Vorarlberger Firma Simplon unterstützt, die absolute High-End-Räder hat und sie mir außerdem genauso zusammenbaut, wie ich sie mir wünsche. Es macht irrsinnig viel Spaß, mir spezielle Teile basteln zu lassen und auch selbst zuhause daran zu schrauben. Aktuell hab ich etwa zwölf Räder in der Wohnung. Wobei manche davon als Erinnerungsstücke an gewisse Projekte an der Wand hängen und nur zu bestimmten Anlässen wieder zum Einsatz kommen. 

Gibt es in technischer Hinsicht noch ein Next Big Thing, mit dem man in den nächsten Jahren rechnen kann und das dem Rennradfahren einen Push geben wird?

Ich glaube, dass sich das „Rennrad als E-Bike” etablieren wird. Momentan ist das E-Bike ja eher im Mountainbike- und Alltagsradsektor präsent. Es gibt aber bereits wunderschöne Räder, bei denen man den E-Antrieb kaum mehr sieht. Dabei handelt es sich um ganz kleine Unterstützungsmotoren, die die letzten 70 bis 100 Watt beisteuern. Diese eignen sich gut, um beispielsweise innerhalb einer Gruppe Leistungsunterschiede zu kompensieren. Oder wenn jemand gesundheitlich angeschlagen ist und nur absolute Grundlage trainieren darf, kann er mit diesem lässigen Rad trotzdem bei einer Gruppe dabei sein, die ansonsten eine Spur zu schnell wäre. Darin sehe ich eine Entwicklung, die im Kommen ist. 

WORD RAP

Windschatten oder Windbreaker?

Ganz klar Windbreaker. Ich fahre immer gerne vorne. Meine sportlichen Wurzeln liegen im Triathlon auf der Langdistanz. Da ist es auch so, dass man immer alleine fährt. Und das ist auch genau das, was mir am meisten taugt.

Käsekrainer oder Powerbar?

Ich liebe Käsekrainer und belohne mich sporadisch damit. Aber das Verhältnis Käsekrainer zu Powerbar ist doch eher 1 : 100.

Netflix oder Trainingsbuch?

Trainingsbuch. Auf Netflix schaue ich vielleicht fünf Filme im Jahr. Trainingsbücher nehme ich hingegen sehr gerne zur Hand. Dabei liebe ich besonders die Bücher von Pit Schubert, der vor allem über Alpinunfälle in den letzten 50, 60 Jahren geschrieben hat. Seine Bücher habe ich mehrfach gelesen, weil ich extrem gerne am Berg unterwegs bin und aus Fehlern von anderen lernen möchte. Zu diesem Zweck ist seine Lektüre grenzgenial.

Parov Stelar oder Fahrtwind im Ohr?

Am besten beides. In einem Ohr Parov Stelar, im anderen den Fahrtwind – und dabei den Verkehr im Blick. In beiden Ohren Musik? Davon rate ich beim Radfahren mittlerweile strikt ab, weil es schlichtweg echt gefährlich ist. 

Early bird oder Nachteule?

Ganz eindeutig Nachteule.

Ski-Mo oder Pow-Pow?

Am besten beides. Ski-Mo unbedingt. Ich bin auch bei schlechtem Wetter unterwegs. Aber wenn sich beides kombinieren lässt, ist es natürlich am geilsten.

Michael Strasser

  • Geboren: 1983 in Niederösterreich
  • Profi-Biker, Triathlon- und Skibergsteig-Instruktor, Radsporttrainer & MTB-Guide
  • Weltrekord 2018 mit Ice2Ice: Alaska – Argentinien mit dem Rad (23.000 Kilometer in 84 Tagen, 11 Stunden und 50 Minuten)

Gründer des Vereins „Racing 4 Charity“: Der erwirtschaftete Erlös von Projekten wie Ice2Ice wird zu 100 % Charity-Projekten zur Verfügung gestellt und unterstützt Menschen mit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) sowie CFS / ME (Myalgische Enzephalomyelitis / Chronic Fatigue Syndrome). Nähere Infos & Spendenmöglichkeiten: strassermichael.at/de/racing-4-charity

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